Mutter, Vater, Kind und alle, die in der Familie sindLeseprobe aus dem KREISEL "Mutter, Vater, Kind und alle, die in der Familie sind" von Ursula Dillenburg-Groß und Ruth Heidemann aus dem Dreieck-Verlag, mit freundlicher Genehmigung von Herrn Stammberger.

Die einzelnen Beiträge behandeln das Thema der Klein- und Großfamilie. Die Familien der Kinder Ihrer Gruppe können mit einbezogen werden; es gibt Geschichten von früher und heute aus der Sicht eines Familienmitgliedes, nämlich Sara. Sie erlebt die Geburt ihres kleinen Bruders Philipp und hört gespannt den Geschichten zu, die Oma oder andere Verwandte erzählen. Die Figur der kleinen Sara zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausgabe. Sara lädt dadurch die Kinder Ihrer Gruppe dazu ein, auch zu erzählen, vor allem zu vergleichen. Auch alle anderen Personen innerhalb der großen Familie von Sara kommen öfter vor. Sie werden zusammen mit Sara bildlich auf zwei Doppelseiten vorgestellt. Auf diese Bilder wird in vielen Beiträgen immer wieder zurückgegriffen. In vielen Spielen sind sie notwendige Utensilien, zum Beispiel als Spielkarten.

Eine Erzählung wie Kinder in anderen Ländern mit ihren Familien leben

Wie leben Familien auf der Welt? Klar, die Frage können wir auf den ersten Blick beantworten. Denn eigentlich leben ziemlich viele Menschen und damit auch Familien auf der Welt in etwa so wie wir in Deutschland. In der Familie gibt es meistens Mutter, Vater, Kinder. Die Familien haben ein Dach über dem Kopf und gehen zur Arbeit. Es gibt Strom, fließendes Wasser und Heizung. Aber in manchen Regionen dieser Welt gibt es Familien, die auf eine ganz andere Art leben.

Sekou

Da ist zum Beispiel die Familie von Sekou. Sekou lebt mit ihrer Familie in einer kleinen Stadt in Namibia. Namibia liegt in Afrika. Der Vater von Sekou hat nicht nur eine Frau, nein, er hat insgesamt vier Ehefrauen. Und diese vier Ehefrauen haben insgesamt sechs Kinder. So wächst Sekou gemeinsam mit ihren fünf Geschwistern, ihrer Mutter und drei anderen Frauen auf. Die Familie lebt von der Viehzucht – sie besitzen in einer kargen Landschaft eine Herde Schafe und Ziegen.

Madu

Anders die Familie von Madu. Madu ist ein Junge und lebt in einer kleinen Stadt im Norden von Indien. Indien ist ein Staat in Asien. Madu geht in die Schule. In der Schule tragen alle Kinder eine Schuluniform. Wenn er von der Schule nach Hause kommt, kann er nicht wie die Kinder in Deutschland Hausaufgaben machen und spielen gehen. Er muss seiner Familie bei der Feldarbeit helfen. Oft arbeitet die Familie viele Stunden am Tag auf dem Feld. Dort baut sie Reis und Gemüse an. Die Familie kann sich keinen Traktor leisten. Sie besitzen ein Dromedar, das auf dem Feld die Arbeit eines Traktors übernimmt. Und auf dem Weg zurück zur Hütte transportiert das Dromedar dann auch noch die Ernte.

Ahmad

Ahmad wohnt mit seiner Familie in einem Ort in Eritrea. Eritrea ist ein Land an der Nordostküste von Afrika und gehört neben anderen Staaten zum Horn von Afrika. (Warum das so heißt, wirst du sofort verstehen, wenn du dir eine Landkarte von Afrika ansiehst!) Ahmad und seine Familie gehören zum Volk der Rashaida. Die Vorfahren der Rashaida kamen vor mehr als 100 Jahren aus Saudi-Arabien nach Eritrea. Ahmad hat drei jüngere Schwestern. Er selbst ist acht Jahre alt. Seine Schwester Abesa ist gerade fünf Jahre alt geworden. Seit ihrem Geburtstag trägt sie eine Burka. Die Burka ist ein Schleier. Die Familientradition will, dass die Mädchen mit fünf Jahren beginnen, einen Schleier zu tragen. Ahmads Familie und sein ganzes Volk sind Nomaden. Etwas Besonderes ist diese Familie unter den Nomaden. Normalerweise ziehen Nomaden umher und versorgen sich selbst. Das heißt, dass sie Gemüse und Getreide anbauen und selbst Tiere züchten, damit sie etwas zu essen haben. Ahmads Familie aber lebt eher vom Verkauf. Die Familie verkauft auf Märkten und Basaren Dromedare.

Naldi

Naldi kommt aus Peru. Das liegt im Westen von Südamerika. Naldi lebt mit ihrer Familie nicht in einer Stadt oder einem Dorf, sondern auf einer Insel. Aber die Insel ist eine ganz besondere Insel. Sie wird auch schwimmende Insel genannt, weil sie schwimmen kann. Die schwimmenden Inseln treiben auf dem Titicacasee. Schwimmen können sie, weil sie aus Schilf bestehen, das zu kleinen Bündeln geflochten wird. Und dann werden die kleinen Bündel zu einem so großen Bündel zusammengeflochten, dass eine Insel daraus wird. Früher konnten die Bewohner der schwimmenden Inseln immer vor Feinden flüchten und sich auf dem Titicacasee verstecken. Heute kommen oft Touristen auf die Inseln. Das Schilf, aus dem die Inseln gemacht werden, wird aber auch für den Bau der Hütten auf den Inseln und der Fischerboote genutzt. Und Naldi und ihre Familie essen das Schilf auch als Beilage zu frischem Fisch, den sie aus dem Titicacasee angeln. Naldi und ihre Familie sind Indianer, genauer gesagt Aymara-Indianer. Die gibt es in Peru schon sehr lange. Naldi lebt auf der schwimmenden Insel in einer Hütte aus Schilf. Es gibt keine Betten, so wie wir sie kennen. Auch die Betten sind aus Schilf gemacht. Auf der Insel gibt es keinen Strom, keine Heizung und kein warmes Wasser aus dem Wasserhahn. Aber zur Schule kann Naldi zum Glück gehen. Es gibt eine Schule für alle Kinder der schwimmenden Inseln. Und weil die Schule auf einer anderen schwimmenden Insel ist, bringt ihr Vater sie und ihre Brüder jeden Morgen mit dem Schilfboot zur Schule.

Jamo

Jamos Familie gehört zu den Bororo vom Volk der Fulbe. Die Bororo sind Nomaden und leben in Gebieten südlich der Sahara. Die Sahara ist eine sehr große Wüste und liegt in Afrika. Jamo und seine Familie kennen es nicht, in einer Hütte oder einem Haus zu wohnen. Sie haben keine Möbel oder Bücher. Alles was die Familie besitzt, ist eine Kuhherde, Kalebassen (das sind Gefäße aus Flaschenkürbissen) und Strohmatten. Die Strohmatten und Kalebassen transportiert Jamos Familie auf Eseln. Die Familie zieht immer durch das trockene Land, das auch Steppe genannt wird, von Wasserloch zu Wasserloch. Dort findet die Familie Wasser zum Trinken. Etwas zu essen bekommt die Familie von sesshaften Bauern geschenkt. Diese Bauern haben ein Haus oder eine Hütte und etwas Land, auf dem sie etwas anbauen können. Von diesen Bauern bekommt Jamos Familie Milch, Butter und Käse mit Maismehl. Fleisch gibt es nur an besonderen Tagen, meist an Feiertagen. Die Familie schläft unter freiem Himmel auf den Strohmatten unter stacheligen Zweigen, die ein wenig Schutz bieten. Jamo und seine Familie sind sehr glücklich als Nomaden. Sie fühlen sich als freie Menschen. Und weil Jamo immer mit seiner Familie weiterzieht, geht er auch nicht in die Schule. Wenn Jamo erwachsen ist, wird er auf einem Fest von einem Mädchen ausgewählt, das ihn zum Ehemann haben will. Das ist die Tradition seines Volkes. Jamo darf sich nicht selbst eine Frau suchen. Das ist verboten.

Ella

Ella lebt mit ihrer Familie in Nigeria in Afrika. Ella ist fünf Jahre alt. Sie hat nur sehr wenig Zeit zum Spielen, weil sie ihrer Mutter helfen muss. Gemeinsam mit der Mutter sucht sie Holz, damit sie Feuer zum Kochen machen können. Die Familie lebt in einer Hütte, und dort gibt es keinen Strom und auch keinen Herd, auf dem die Mutter kochen könnte. Wasser gibt es auch nicht. Um Wasser zu bekommen, laufen Ella und ihre Mutter zu einer Quelle und nehmen Wasser in großen Töpfen mit nach Hause. Weil die beiden nicht so viel tragen können, müssen sie jeden Tag zur Quelle laufen. Aber der Weg macht Ella Spaß, sie singt immer mit ihrer Mutter. Manchmal muss Ella auch auf die Ziegen der Familien aufpassen. Meistens muss sie das machen, wenn ihr Vater und ihre Mutter und die anderen Frauen von ihrem Vater auf dem Feld arbeiten oder Hirse stampfen. Als Ella kleiner war, hat sie ihre Mutter immer zum Feld mitgenommen. Dann war sie in ein Tuch eingewickelt und auf den Rücken ihrer Mutter gebunden. Aber jetzt ist sie ja schon groß und kann auch schon helfen. Nächstes Jahr kommt Ella in die Schule. Sie freut sich schon, wenn sie und ihre Mutter auf dem Markt ihre Hefte und Stifte kaufen werden. Hoffentlich gibt es dann auch genug davon, oft sind nämlich gerade Hefte und Stifte Mangelware auf dem Markt.

Pedro

Pedro kommt aus dem Regenwald in Brasilien. Brasilien ist ein sehr großes Land in Südamerika. Im Regenwald in Brasilien gibt es einen sehr großen Fluss, den Amazonas. Dieser Fluss hat so viel Wasser, dass sehr viel Land unter Wasser steht. Mitten im Urwald gibt es ein Fleckchen Erde, eine kleine Stadt. Dort lebt Pedro mit seiner Familie. Sein Vater hat einen Beruf, aber er verdient sehr wenig Geld. Pedro ist elf Jahre alt. Weil er noch sieben Geschwister hat, muss Pedro auch Geld verdienen und kann nicht mehr in die Schule gehen. Die Familie braucht das Geld dringend. Dank dieses Geldes kann sich die Familie eine Hütte leisten, in der sie alle in einem Zimmer leben. Über Tag spielen dort Pedros Geschwister, und seine Mutter kocht für die Familie. Abends werden die Hängematten aus einer Ecke geholt und aufgehängt. Und schon sind die Betten für die ganze Familie gemacht! Dann putzen sich alle die Zähne. Pedro mag es, wenn die ganze Familie abends in den Hängematten liegt. Manchmal erzählt sein Vater dann lustige Geschichten und dann lachen sich alle in den Schlaf.

Pepe

Zum Volk der Fahrenden gehören Pepe und seine Familie. Vielleicht kennst du den Namen des Volks der Fahrenden nicht. Manchmal gibt es auch andere Namen, zum Beispiel Zigeuner oder Roma oder Sinti. Früher einmal hat dieses Volk in Nordindien gelebt, aber jetzt leben viele von ihnen in Mitteleuropa hier mit uns. Pepe lebt mit seiner Familie in Wohnwagen. Zu Pepes Familie gehören nicht nur seine Großeltern, Eltern und Geschwister, sondern auch gute Freunde. Sie alle leben als Familie zusammen und sind gemeinsam unterwegs. Pepes Vater arbeitet immer an den Orten, an denen die Familie gerade in ihrem Wohnwagen lebt. Mal handelt er mit Vieh, mal stellt er Töpfe her. Pepe hilft seinem Vater öfter und kann auch schon einen Topf selber machen. Aber er braucht noch viel Zeit. Er muss noch viel üben. Pepes Großvater kann sehr gut mit Leder arbeiten. Manchmal weiß Pepe gar nicht recht, wo er zuschauen soll. Es ist alles spannend. Seine Mutter flechtet Weidenkörbe, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt ist, den Wohnwagen aufzuräumen oder zu kochen. Und seine Großmutter kann anderen Menschen die Zukunft voraussagen. Das ist immer lustig. Manchmal kommen Leute zu Großmutter und freuen sich über ihre Zukunft, und manchmal schimpfen die Leute auch mit Pepes Großmutter, weil sie schlimme Sachen vorausgesagt hat. Abends trifft sich die Familie immer am großen Esstisch im Wohnwagen. Großvater holt dann die Gitarre und zusammen singen sie traditionelle Lieder, die vom Leben früher erzählen. Das mag Pepe sehr.